Wir tauchen unseren Blick in die Tiefen der Zeitgeschichte. Sie antworten unserer Suche mit immer näherkommenden Trommelklängen, die uns in eine nächtliche Szenerie mit schemenhaft tanzenden Menschen tragen. Ihre rhythmischen Gesänge weben sich in das immer lauter werdende Trommeln. In das Geschehen sinkend, mischen wir uns inmitten dieser Menschengruppe, die mit wilden Gesten um ein großes Feuer herumwirbelt. Die Menschen sind kaum bekleidet. Farben und klangvoller Schmuck zieren ihre Körper. Ihr Stampfen und Singen wird immer lauter. Die Luft bebt. So auch das Herz eines jungen Mannes, der im Schein der Flammen und von seinem Stamm umrundet in das Bild tritt. Die Stammesältesten erheben ihn in den Status des Kriegers. In dieser Nacht wird sein Übergang vom Kindsein in eine neue Reife zeremoniell zelebriert. Dann verklingt das Bild.
Vergessene Wege
Wir Zivilisierten kennen solche Szenen meist nur aus Dokumentarfilmen über Naturvölker und nicht aus dem eigenen Erleben.
Die oben beschriebenen Seelenbilder - ferne Erinnerungen an unsere indigenen Ursprünge -mussten veränderten sozialen Bedingungen und einem Rückgang spiritueller Ansichten weichen. Und nicht zuletzt einem wegrückenden Fokus auf natürliche Zyklen.
War es früher der ganze generationsübergreifende Stamm, der uns in ein enormes Wissen über die komplexen Zusammenhänge des Lebens einweihte, so wachsen wir heute meist in Kleinfamilien auf und die Verantwortung für viele unserer Entwicklungsstadien und – Übergänge sind in den gängigen institutionellen Konstrukten eingebettet.
In beiden zeichnen sich zwar auch Feiern und Würdigungen einiger Lebensabschnitte ab, die auch Rituale beinhalten (wie alljährliche Geburtstage, Einschulung, Konfirmation u.ä., Volljährigkeit, Schulabschluss, Heirat, Pensionierung, ..), möglicherweise kommen diese jedoch der Bedeutungsdichte und Intensität einer wie oben beschriebenen archaischen Zeremonie selten nahe.
Die meisten dienen als Eckpfeiler in der äußeren Welt, aber was ist mit dem inneren Erlebensraum?
Es scheint, dass manche wertvolle Entwicklungsprozesse als solche nicht wahrgenommen werden von unserer schnelllebigen Gesellschaft. So stolpern die meisten von uns von einer Entwicklungsstufe in die nächste, ohne dass die Psyche wirklich die Zeit hat, zu reifen. Zwar tragen wir dann Bezeichnungen wie geschlechtsreif, Eltern, verheiratet/geschieden, pensioniert – aber sind wir in diese Stadien wirklich bewusst hineingewachsen? Oder sind wir noch im Pathos eines früheren Lebensabschnitts verhaftet?
Viele der Übergänge zwischen den Entwicklungsstadien können undefinierte Schwebezustände sein, die in uns ein stilles sehnsüchtiges Suchen nach Identität, Zugehörigkeit und Orientierung wachhalten.
Wir können nur die Kreise verlassen, die wir bewusst geschlossen haben
Man kennt sie: jene seit ewig Volljährigen, die im Stadium des Jugendlichen stecken geblieben sind, wie auch jene, die nostalgisch ihrer lange geschiedenen Ehe hinterhertrauern oder Rentner, die tagein, tagaus wehmütig von ihrer ehemaligen Arbeitsstelle reden.
Immer wenn wir eine Rolle theaterreif beibehalten, selbst wenn sie faktisch längst vergangen ist, verbrauchen wir einen Teil unserer Lebenskraft. Verlassen wir alte Lebensabschnitte nicht bewusst, bleibt immer etwas von der alten Energie zurück. Unklarheit und Widersprüche im Inneren entstehen und hinterlassen ungeklärte Zwischenzustände, die dann unbewusst Haltlosigkeit und Orientierungslosigkeit verursachen können, in einer Gegenwart, die uns ganz andere Schätze offenbaren will.
Einweihungs-Zeremonien und Übergangsrituale beinhalten ein tiefes archaisches Wissen über natürliche Zyklen und die Übergänge von einem in den anderen Lebensabschnitt. Thematisch sind diese Erfahrungen eng verbunden mit Tod und Wiedergeburt. Von Verabschieden und Willkommen-heißen. Geschieht dieses mit einer bewussten Haltung und Intention, sind diese Zeremonien eine wunderbare Möglichkeit, alte Räume zu schließen, und neue (Erfahrungs-) Räume zu öffnen.
In die eigene Kraft treten
Psychologisch betrachtet wird mit dem Übergangsritual also bewusst etwas Altes beendet, damit wir vollständig und bewusst in etwas Neues eintreten können.
Bei unserer Suche nach Identität sind wir nicht nur abgetrennt von einem natürlichen Rhythmus, sondern meist auch von Menschengruppen, die uns in unserer psycho-emotionalen Entwicklung begleiten könnten.
Wie auch, wenn unsere persönliche Reifung oft mit Themen der Geschlechtsreife einhergeht und diese Themen bei nicht wenigen unserer Eltern und Großeltern, eine unaussprechliche Scham innewohnt? Denn auch sie wurden nicht in ihrer psychoemotionalen Entwicklung eingeweiht und getragen, haben nicht den einen Raum selbstbestimmt verlassen können um mit dem nächsten im Reinen sein zu können und sich kraftvoll darin entfalten zu können.
Ob angeleitet im Familienkreis, oder - wie ich es erfahren durfte - in einem vertrauensvollen Kreis von Frauen: Zeremonien verwandeln und können Heilung in eine verletzte Familiengeschichte bringen, und – von einem größeren Blickwinkel betrachtet – die Ahnenreihen reinigen und heilen.
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So wie wir bei unseren ersten Schritten im Leben die Aufmerksamkeit, Bestätigung und Anerkennung unserer Eltern suchen, braucht es auch im späteren Leben unsere mutigen, willensstarke Schritte und Menschen, die diesen Be-Achtung schenken.
Da die gesellschaftlich definierten Schritte in unseren Biographien unterschwellige entwicklungspsychologische Übergänge meist in den Schatten stellen, ist es gerade heute wichtig, Zeremonien zu feiern. Heute, wo wir oftmals unsere Orientierung im Außen z.B. im Konsum oder im Wettbewerb haben, laden Zeremonien dazu ein, innere Prozesse in den Gruppenprozess zu bringen, und sie im Außen durch Menschen spiegeln zu lassen.
Sowohl Übergangsrituale als auch andere Zeremonien, bilden den metaphorischen Rahmen dafür, seinem natürlichen Rhythmus zu folgen und somit kraftvoll in der Welt zu wirken.
Magdalena Werner, diplomierte Erziehungswissenschaftlerin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Kinesiologin in Berlin/ Prenzlauer Berg.
2021:
Energie- und Ritualarbeit u.w. im Frauenkreis „Wilde Rosen“ mit monatlich fortlaufendem Treffen.
Infos und Termine unter:
Tel.: 0176-34 66 83 50 - www.yogini-kinesiologie.com
Hier durfte ich wachsen: https://sacredfemalerising.com
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